3/5 Arbeit im Betrieb

Projekt: 

Am ersten Arbeitstag holte mich der Chef des Betriebs ausnahmsweise sogar persönlich vom B&B mit dem Auto ab. Im Betrieb angekommen, zeigte er mir die gesamte maschinelle Ausstattung des Unternehmens und stellte mich den meisten Mitarbeitern vor. Nach einer ca. 15 minütigen Rundführung teilte er mich für die erste Woche der Werkzeugmontage-Abteilung zu.

Das Kennenlernen der Menschen im Betrieb verlief extrem easy-going und machte richtig Spaß. Ich hatte sofort bemerkt, dass viele der Mitarbeiter, die etwas besser Englisch sprechen konnten, unbedingt mal etwas mit mir nach der Arbeit unternehmen wollten.

Beispielsweise hatte mich ein Mitarbeiter zusammen mit 2 weiteren (einer Mitte 50, einer mein Alter) zu sich nach Hause zum Pizza essen und Bier trinken eingeladen. Dies wurde zu einem unvergesslichen Abend kulturellen Austauschs, an dem ich sogar noch von der Frau desjenigen, der einlud, selbstgemachtes Tiramisu und sehr guten Grappa aus Bassano serviert bekommen habe. An einem anderen Abend nach der Arbeit hatte mich ein Mitarbeiter Mitte 20 von meinem B&B mit dem Auto abgeholt und ist mit mir nach Padua gefahren. Dort haben wir uns die Stadt in abendlicher Beleuchtung angesehen und etwas gegessen. Ich war von mir selbst überrascht, wie flüssig ich Englisch sprechen kann wenn mir keine andere Alternative zur Kommunikation bleibt. Außerdem erinnere ich mich an einen Abend nach der Arbeit, an dem ich mit einer Mitarbeiterin nach Castelfranco gefahren bin, wo sie mir neben dem Stadtkern eine der größten Weinhandlungen in ganz Italien zeigte, und mir freundlicherweise unbedingt noch ein Eis ausgeben wollte. Ein weiterer Mitarbeiter im Alter von 26 war in dem Betrieb erst seit wenigen Monaten beschäftigt und hatte zuvor mit seiner Freundin zusammen 2 Jahre in Australien gearbeitet. Deshalb hatte er im Praktikumsbetrieb mit Abstand die besten Englischkenntnisse. Überraschenderweise waren unsere Englischkenntnisse auf ähnlichem Niveau, obwohl ich bis dato nie großartig Englisch im Ausland gesprochen hatte. Das hatte ihn auch sichtbar erstaunt. Er hatte vorgeschlagen, dass wir an einem Abend nach der Arbeit mal nach Bassano del Grappa fahren sollten, allerdings war er dann leider spontan geschäftlich verhindert. Bassano del Grappa hatte ich mir dennoch allein angesehen.

In der 90 Minuten andauernden Mittagspause hatte ich beim Essen immer 2 Mitarbeiterinnen und einen Mitarbeiter mit mir am Tisch sitzen, mit denen ich mich über verschiedenste Dinge unterhalten konnte. Eine der Mitarbeiterinnen wollte an einem Tag mit mir in der Pause zu einem nahe gelegenen Supermarkt gehen, nachdem ich die Frage gestellt hatte was man in der Region denn so typischerweise isst. Im Supermarkt hat sie mir einige Dinge empfohlen, die ich dann zum Ausprobieren gekauft hatte. Das fand ich extrem nett und ich konnte vieles dabei lernen. War zudem wirklich witzig. Die anderen beiden Menschen im Pausenraum haben mir meist ganz euphorisch erklären wollen, wo ich am Wochenende denn am besten meine Zeit in der Umgebung verbringen sollte und wie ich am besten von A nach B komme. Dafür bin ich sehr dankbar gewesen, da es mir das Leben am Wochenende auf der einen Seite schöner und auf der anderen in vielerlei Hinsicht noch einfacher machte. Am Ende bin ich mit einer Hand voll neuer Handynummern zurück nach Deutschland gefahren; bei meinem nächsten Besuch in der Region ist ein Wiedersehen praktisch schon beschlossene Sache.

Nun zur Arbeit selbst: Meine 3 Wochen im Betrieb habe ich quasi vollständig im technischen Bereich verbracht. Folgende Tätigkeiten, Fertigungstechniken und Abteilungen habe ich in dieser Zeit kennengelernt…

  • Montage verschiedenster Werkzeugkomponenten / Fertigstellung von Stanzwerkzeugen
  • Händisches Pfeilen zur Oberflächenverbesserung einzelner Kavitäten, deren Geometrie zuvor durch die innerbetrieblichen Fräsmaschinen erzeugt wurde
  • Entwicklung von Programmen für mehrere Fräsmaschinen am Computer
  • Funktionsweise, Einrichtung und Konfiguration von 3-Achs-Fräsmaschinen & 4-Achs-Fräsmaschinen
  • Funktionsweise, Einrichtung und Konfiguration von Schleifmaschinen
  • Funktionsweise und Einrichtung einer Sandstrahl-Maschine
  • Funktionsweise, Einrichtung und Konfiguration einer Drehmaschine
  • Funktionsweise, Einrichtung und Konfiguration von 4 Drahterodiermaschinen
  • Funktionsweise, Einrichtung und Konfiguration einer Laser-Cut Maschine
  • Funktionsweise von Schweißen
  • Funktionsweise, Einrichtung und Konfiguration einer Testpresse (zum finalen Testen der zuvor fertiggestellten Werkzeuge)
  • Strategien und übliche Vorgehensweisen zum Analysieren von beim finalen Testvorgang auftretenden Komplikationen + Entwicklung entsprechender Lösungsansätze (dies fand ich von alledem am interessantesten, da man nie wusste, ob die Stanzteile beim ersten Testen so aussehen wie sie sollen oder auch nicht; wenn sie fehlerhaft waren, war der Prozess der Fehleranalyse für mich sehr spannend)

Bei komplexeren Dingen wie etwa Maschinenkonfigurationen oder Programmierarbeiten habe ich den Großteil der Zeit über die Schulter schauen sollen; „simple“ Tätigkeiten wie Montieren, Pfeilen, auf Kommando den Startknopf der Testpresse drücken oder auch Sandstrahlen mehrerer Werkstücke durfte ich eigenständig machen. Die Balance zwischen selbst arbeiten und über die Schulter schauen war in der Bilanz meiner Meinung nach ausgewogen und sehr angenehm.

In meinem Praktikumsbetrieb funktionierte der Informationsaustausch primär über das persönliche Gespräch. Immerhin handelt es sich um einen relativ kleinen Werkzeugbau in dem jeder einfach innerhalb weniger Sekunden zu seiner Zielperson gehen kann um Dinge zu erfragen oder mitzuteilen – vorausgesetzt der gesuchte Mitarbeiter ist an seinem standardmäßigen Arbeitsplatz. Andernfalls ist dann eine (meist nur kurze) Suchaktion notwendig.Telefon und E-Mail werden in allererster Linie nur für externe Anliegen, d.h. Kommunikation mit Lieferanten und Kunden in Anspruch genommen; ich meine beobachtet zu haben, dass die meisten Mitarbeiter außerhalb des Büros gar kein Telefon bei sich trugen. In der Produktion herrscht striktes Smartphone-Verbot – daher gehe ich davon aus, dass Messengerdienste wie sie teils in meinem Ausbildungsbetrieb in Deutschland genutzt werden, in dem Werkzeugbau keinerlei Rolle spielen. Dass die Mitarbeiter im Büro einen speziellen Messengerdienst am PC nutzen halte ich für unwahrscheinlich, jedoch hatte ich danach gar nicht erst aktiv gefragt. Bei mir hat man was das Nutzungsverbot des Smartphones in der Produktion angeht eine kleine Ausnahme gemacht, damit Mitarbeiter, die nur sehr schlecht Englisch sprechen konnten, mir technische Zusammenhänge und Funktionsweisen mit Hilfe des Google Translators erläutern konnten.

Interessant fand ich, dass in meinem Praktikumsbetrieb jeder Mitarbeiter in der Produktion für jeden Arbeitsschritt an einem bestimmten Werkstück die jeweils benötigte Zeit schriftlich auf einem Blatt Papier niederschrieb. Am Ende jeden Tages übertrugen die Mitarbeiter die notierten Zeiten in digitaler Form auf einen älteren Rechner nahe des Umkleideraums. Dies soll für die kaufmännischen Mitarbeiter ersichtlich machen, inwiefern geplante Zeiten mit tatsächlich benötigter Zeit übereinstimmten – diese Vorgehensweise ist offenbar Grundlage für die exakte Kalkulation der finalen Werkzeugpreise. Schade, dass ich mir das im Büro nicht genauer anschauen konnte! – aber kein Beinbruch.

Gruß Justin

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Ein Gedanke zu „3/5 Arbeit im Betrieb

  1. Nick Denis

    Hallo Justin,

    vielen dank für die ausführliche Beschreibung Ihres Arbeitsalltags, aber auch der kulturellen Erfahrungen, die ja einen nicht unerheblichen Anteil an dem Abenteuer Auslandspraktikum haben.

    Viele Grüße
    Nick Denis

    Antworten

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